SAKRALER RAUM UND IMAGINÄRES MUSEUM
Lichtobjekte von Dietmar Müller im Atelier Moering

von Verena Flick und Albert Hoehner


        Sakraler Raum und imaginäres Museum - ist u.a. eine Serie von großformatigen Lichtobjekten, die sich aus unzähligen beleuchteten Dias zu meditativen Patchwork-Objekten zusammensetzen. Die einzelnen Dia-Bilder sind meist freie Abstraktionen, montiert aus verschiedenartigsten Film- und Transparentmaterialien - Fundstücke, Zufallsergebnisse, Realitätsfetzen - deren scheinbare "Konzeptlosigkeit" durch eine strenge Ordnung in der Farb-, Inhalt-, Form- und Materialgebung spannungsreich kontrapunktiert wird. Jeder Kasten bildet einen abgeschlossenen Mikrokosmos - die durchscheinenden, transparenten und lichtvollen Bildkomplexe erinnern mit ihren mystisch-sakralen Farblichteffekten an gotische Glasmalerei, an monumentale Kathedralfenster oder zeitgemäße stroboskope "Wandmalereien" des Trance-Dance. Bei den kleinformatigen Objekten wurde das Gegenständliche aufgegeben zugunsten ätherischer Licht- und Farbspiele, um eine schwerelose schwebende Wirkung zu erzielen.

        Nur vereinzelt handelt es sich hier um Fotoausschnitte; der größte Teil der Miniaturbilder sind eigenhändig bearbeitet. Diese doppelte Illusion bewirkt beim Betrachter, dass er sich noch einmal die zwei grundlegenden Möglichkeiten des Sehens vergegenwärtigt, die in unserer Kultur den Blick geprägt haben. Es sind zugleich zwei Möglichkeiten, das Licht wahrzunehmen. In den mittelalterlichen Glasfenstern kam das Licht auf den Betrachter zu, im Museum dringt der forschende analytische Blick des Betrachters in das unbekannte Dunkel der Bilder ein. In der Herausforderung, sich zwischen beiden Sichtweisen hin- und herzubewegen, entgrenzt der Blick, reißt ihn aus den gewohnten Verfestigungen heraus. Dabei öffnet der Fortfall der vertrauten Sehgewohnheiten erst das Auge für die komplexere Einheit, die hinter den Gegensätzen liegt.

        Und was im großen gilt, gilt bei den Arbeiten auch im kleinen. Je genauer sich der Betrachter die einzelnen Elemente der Lichtobjekte ansieht, desto mehr Gegensätze wird er wahrnehmen. Da finden sich realistische Foto-Fragmente und konsequente Abstraktionen, prähistorische, ägyptische, etruskische, mittelalterliche Motive, indische Mandalas, Renaissanceportraits und sehr moderne Formen, da gibt es einfachste, spontan hingeworfene Zeichnungen und die kompliziertesten verschlungenen Strukturen. Es gelingt, zwischen diesen Einzelheiten überraschende Beziehungen zu stiften, ein ganzes Netzwerk aus Zusammenhängen zu knüpfen. Dies geschieht durch die subtile Lichtkomposition, die die Einzelelemente als Teile eines leuchtenden Gewebes erscheinen lässt, aber auch immer wieder durch das Stilmittel der variierenden Wiederholung; die Variationsbreite wird in den allerneuesten Arbeiten noch größer, weil die Spannung zwischen groß- und kleinformatigen Bildteilen hinzutritt. Dabei zeigt sich die ganze Spannweite zwischen einfachen und hochkomplizierten Strukturen. Je vielschichtiger diese Strukturen erscheinen, desto mehr erinnern sie wieder an Naturformen: an extreme Vergrößerungen von Naturerscheinungen unter dem Mikroskop.

        Der Betrachter kann sich in eine kaleidoskopartige Miniaturwelt versenken, bis sich die Zeit auflöst, Räume verwischen, Begrenzungen aufheben, die alltägliche Realität sich in ein fantasievolleres, schöneres "künstlerisches Paradies" verwandelt. Dennoch sind die Objekte kein l'art pour l'art oder selbstgefällige Nabelschau, denn die meditative Reise kann auch ein Weg ins Innere sein, zu den persönlichen Ursprüngen führen, wo alte Bilder entflammt, mit dem heutigen Bewusstsein des Betrachters neu bearbeitet werden können, um in neue Erkenntniswelten vorzustoßen.